SPIRITUOSEN
Gegen den Trend
Schinkenhäger und Schlichte kommen demnächst aus einem Unternehmen: Die beiden größten Steinhäger-Produzenten schließen sich zusammen. *
Mehr als hundert Jahre lang waren die beiden reichsten Familien im westfälischen Dorf Steinhagen bei Bielefeld nicht gut aufeinander zu sprechen.
Nur die Frauen trafen sich schon mal zum Kaffeekränzchen; die Männer gingen sich meist aus dem Weg.
Beide Familien, die Schlichtes und die Königs, verdienen ihr Geld im gleichen Gewerbe.
Sie füllen in ihren Betrieben Schnaps ab, eben den Steinhäger.
Beim Gerangel um Käufer und Gastronomen, erinnert sich ein Steinhagener Gastwirt, "gönnte keiner dem anderen einen Stich".
Dem Geschäft schadete das lange Jahre wenig. Vom Klaren aus Steinhagen konnten mehrere Firmen und Familien gut leben.
Seit einigen Wochen jedoch ist es mit der Rivalität der in Sichtweite produzierenden Steinhäger-Brenner vorbei.
Spätestens im Frühjahr wollen die verfeindeten Schnapsfabrikanten gemeinsame Sache machen.
Dann sollen die Steinhäger-Marken "Original Schlichte" (Werbeslogan: "Trinke ihn mäßig, aber regelmäßig")
und "Schinkenhäger" sowie eine Reihe weiterer Spirituosen aus einem Hause kommen.
Die überraschende Fusion der einst größten Arbeitgeber in der 9000-Einwohner-Gemeinde am Südhang des Teutoburger Waldes war,
so ein ehemaliger König-Manager, "ein dringendes Gebot
der Vernunft, dem man schon viel eher hätte folgen müssen".
Seit Jahren erlebt das Hauptprodukt der Steinhagener Rivalen "eine Talfahrt wie kaum eine andere Spirituose",
wie Josef Cornelissen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Kornbrenner, beobachtet hat.
Von dem Abwärtstrend waren "Schinkenhäger" und "Schlichte" gleichermaßen betroffen.
"Wir wunderten uns nur noch", meint Cornelissen, "daß es immer noch weiter bergab gehen konnte."
Schuld daran sind zu einem beträchtlichen Teil die mehrfachen Erhöhungen der Branntweinsteuer.
Die Schnapssteuer stieg seit 1972 um 70 Prozent.
Die Steuer - fast sieben Mark bei einer 0,7-Liter-Flasche Steinhäger - trieb die Preise für alle Spirituosen in die Höhe und zwang die Kundschaft zur Mäßigung.
So fiel der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Spirituosen von acht Liter (1980) auf 6,7 Liter (1983), während der Verbrauch an Bier und Wein noch stieg.
Doch der Rückgang traf die Schnapshersteller unterschiedlich. Denn in den letzten Jahren veränderte sich auch der Geschmack der Trinker. Den Herstellern von klarem Korn ohne Geschmackszusätze gelang es zum Beispiel, ihre Position zu halten. Einige Brenner, etwa die Firmen Strothmann und Schwarze, konnten sogar den Absatz einzelner Kornmarken deutlich steigern.
Gegen den Trend entwickelten sich auch einige Importschnäpse.
So wurden der griechische Weinbrand Metaxa und der italienische Kräuterbitter Campari zu Bestsellern in Deutschland.
Eierliköre und Wacholderschnäpse hingegen kamen aus der Mode.
Der Niedergang der einst renommierten Steinhäger hatte daher schon vor den letzten happigen Steuererhöhungen begonnen.
Seit 1970 sank der Absatz des mit Wacholderbeeren aus der Toskana doppelt und dreifach gebrannten Steinhägers um deutlich mehr als die Hälfte.
Mit den höheren Steuern ging es dann für die Westfalen immer steiler bergab. 1983 konnten die beiden feindlichen Steinhäger zusammen nur noch knapp sechs Millionen Flaschen "Schinkenhäger" und "Original Schlichte" losschlagen - nicht einmal soviel, wie von Metaxa oder Campari verkauft wurden.
Die Gewinne erinnerten nur noch schwach an die Glanzzeiten der fünfziger und sechziger Jahre.
Der nun eingeleitete Zusammenschluß ist der vorläufige Endpunkt einer lokalen Tradition, die bereits im Mittelalter ihren Anfang nahm.
Der Überlieferung zufolge wurde der Steinhäger zunächst als Heiltrank gebraut. Denn die Wacholderbeeren, so die damalige volksmedizinische Weisheit, "fördern den Schweiß und die Dauung, stärken den Magen, machen einen lieblichen Atem und sind gut in der Colic, auch gegen Blasen- und Nierensteine".
Zunächst produzierten die meisten Brenner in Steinhagen kaum über den eigenen Hausbedarf hinaus.
Erst um 1840 begann der Commerciant Heinrich Wilhelm Schlichte, seinen Schnaps außerhalb zu verkaufen.
Ernsthafte Konkurrenz erwuchs ihm 1873, als Henrich Christoph König begann, seinen zunächst "Urquell" genannten Schnaps ebenfalls überall im Land anzubieten.
Jahrzehntelang lieferten sich die beiden ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen. Jeder verfolgte genau, was der andere tat. Die König-Sippe setzte schon früh auf moderne Werbemethoden.
Mit dem Schinkenbild auf dem Tonkrug schuf sie eines der ältesten Warenzeichen in Deutschland.
Doch beim reinen Steinhäger-Geschäft konnten die Königs keinen Vorsprung herausschlagen.
Die Firmen entwickelten sich dennoch sehr unterschiedlich. Die konservativere
Schlichte-Sippe nutzte ihre Erträge überwiegend dazu, den weitläufigen Grundbesitz in und um Steinhagen zu mehren.
Die König-Männer hingegen bauten vor allem ihren Betrieb aus.
So nahmen sie in den sechziger Jahren den Wodka "Puschkin" und den Magenbitter "Leibwächter" sowie Weinbrand und Sekt in ihr Sortiment auf.
Innerhalb kurzer Zeit entwickelten sie sich zum größten Unternehmen der Spirituosen-Industrie.
Die Position des Marktführers hat die König-Sippe längst wieder verloren. Sie wurde überholt von der Eckes-Gruppe, die mit dem Billig-Weinbrand "Mariacron" die wohl erfolgreichste Spirituose der Nachkriegszeit hervorbrachte.
Je stärker die Konkurrenz außerhalb des Westfalen-Dorfes wurde, um so häufiger war in Steinhagen von einem Zusammenschluß die Rede.
Damit sollte vor allem auch verhindert werden, daß die großen Handelsketten die Steinhäger-Produzenten gegeneinander ausspielen und die Preise drücken.
Doch die ersten drei Anläufe scheiterten am Starrsinn der Schnapsfabrikanten: Keiner wollte als Verlierer dastehen.
Schließlich waren es die leitenden Angestellten, die dafür sorgten, daß sich die Eigentümer noch einmal zusammensetzten.
Eine Lösung kam dann nur zustande, weil beide Familien sich aus der Geschäftsleitung zurückziehen und in den Aufsichtsrat wechseln wollen.
Das Tagesgeschäft übernehmen familienfremde Manager, denn die, meint Steinhäger-Fabrikant Harald König, "gehen leidenschaftsloser an ihre Aufgabe heran".
Das ist auch nötig. Die Betriebe müssen rationalisiert werden, Entlassungen scheinen unvermeidlich. Das Sortiment wird gestrafft; in den König-Destillen werden zukünftig die Konsummarken, bei Schlichte die Spezialitäten abgefüllt.
Das Ziel hat Harald König klar vor Augen: "Der Steinhäger soll sich nach dem Vorbild der französischen Cognac-Brenner und Champagner-Abfüller als lokale Spezialität profilieren."
Die juristischen Voraussetzungen sind gegeben.
Schon in den dreißiger Jahren wurde höchstrichterlich festgestellt, daß "echter" oder "original" Steinhäger nur aus Steinhagen stammen darf.
Und dort wird es wohl bald nur noch eine Schnapsfirma geben.
Wenige Tage nachdem die Fusion der Unternehmen Schlichte und König beschlossen war, wurde bekanntgegeben, daß die neue Firma eine weitere Schnapsbrennerei in Steinhagen übernehmen wird:
die Firma Friedrich Niederstadt, die 1983 rund eine Million Flaschen absetzte. Damit vereint der Verbund bereits 97 Prozent des Steinhäger-Absatzes auf sich.
Nun können nur noch zwei Mini-Brenner, die Firmen Juckemöller und Kissler, dem Steinhäger-Trust Konkurrenz machen.
Doch auch dieses Problem dürfte bald gelöst werden. Harald König: "Wir reden intensiv miteinander."